Kosmopolitische Städter gegen verwurzelte Landeier

Zorge
Oberer Teil von Zorge, einem »sterbenden« Dorf im Südharz. Bild: Nils Gehrke

Ist Ihnen an der Überschrift etwas aufgefallen? »Kosmopolitische Städter gegen verwurzelte Landeier«, klingt nicht gerade neutral, oder? Landei ist offensichtlich nicht gerade positiv klingend, doch auch verwurzelt hat schon einen Beiklang von Unbeweglichkeit, Starrheit und vielleicht sogar Rückständigkeit. Die Städter hingegen sind als Kosmopoliten positiv besetzt. Klingt es doch nach Weltoffenheit, Toleranz und Dynamik.

Leider findet sich ein derartiger wertender Beiklang nicht nur auf meiner kleinen Internetseite, sondern ist im deutschen Blätterwald an der Tagesordnung. Irgendwie mögen Journalisten das Land nicht so richtig. Das schlägt sich auch in politischen Analysen nieder: Die schuldigen an Trumps Wahl zum US-Präsidenten wurden schnell gefunden. Provinzler aus dem mittleren Westen und die »Rednecks« aus dem Südstaaten, seien die mehrheitlichen Wähler gewesen. Hillary Clinton ließ sich sogar dazu hinreißen, sie als – grob übersetzt – »kläglichen Haufen« zu bezeichnen (basket of deplorables).

Auch das jüngste Referendum in der Türkei für eine neue präsidiale Verfassung und damit faktisch die Abschaffung der Demokratie sei »ein Werk der Provinzler« findet ein Kommentar in der Taz. Ein Werk der ungebildeten und Rassisten gegen die informierten und weltoffenen Bewohner der Metropolen. Beim Brexit, also dem Austritt Großbritanniens aus der EU, sind es die Alten ungebildeten gewesen, die das entschieden haben. Wo wohnen die vornehmlich der Analyse nach? Auf dem englischen und walisischen Land natürlich. Diese Liste der Beispiele ließe sich natürlich noch um die deutschen Alternative für Deutschland (AfD), den französischen Front National ergänzen und auch in Polen und Ungarn lassen sich einigen Analysen zufolge die nationalistischen und autoritären Tendenzen auf den Wertkanon von Provinzbewohnern zurückführen. Auf die Rückständigen und Ungebildeten, die Abschottung und Isolationismus wollen.

Ein Grabenkampf zwischen Dörflern und Städtern?

Haben wir in der Demokratie einen Kampf der Städter gegen Provinzler und ist der aufkommende Rechtspopulismus nur die sichtbare Blüte davon? In der Politikwissenschaft gibt es dazu eine Theorie über Gräben an denen sich auf beiden Seiten Parteien oder Bewegungen bilden. Ein klassisches Beispiel für diese Cleavage-Theorie ist der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern, der im 20. Jahrhundert prägend wirkte und manche Länder, die ihn nicht in demokratische Bahnen lenken konnte, in den Kommunismus stürzte. Eine andere Bruchlinie wird aber eben auch seit jeher im Unterschied zwischen der Stadt und dem Land gesucht, der sich in der Industrialisierung herausbildete und die stark abweichenden Lebensbedingungen von Arbeitern in den Fabriken der Städte einerseits und Bauern auf dem Lande andererseits, widerspiegelte.

Die Lesart der Presse deutet jedenfalls an, als sei dieser alte Konflikt, dieser alte Bruch in den Wertvorstellungen wieder auf die Tagesordnung geraten. Der alte Graben habe neue Sprengkraft erhalten. Falls das stimmt, woher kommt dann diese Sprengkraft? Sind wir Landeier wirklich alle einfach nur dumme intolerante Rassisten, die nun einfach Angst vor Überfremdung haben oder sich von der Vorstellung nationaler Stärke zu den rechten Populisten locken lassen?

Ich komme vom Land, bin aufgewachsen in einem knappen 1 000 Seelen Örtchen im niedersächsischen Harz, genannt Zorge. Mich persönlich erschreckt diese häufig von der Presse und auch Politikwissenschaft getragene Analyse, denn ich halte sie nur sehr bedingt zutreffend: Sicherlich gibt es diese Wertvorstellungen auf dem Land und vielleicht auch häufiger als in der Stadt, doch erschöpft sich der aktuelle Frust und Zulauf zu den Rechtspopulisten nicht von dort her. Solche Weltbilder entstehen nämlich nicht über Nacht, weil nebenan eine Handvoll Geflüchteter in ein altes Kurhaus eingezogen sind. Sie waren schon vorher da und haben seit jeher ein stabiles Potenzial bei extremen Parteien. Nein, der aktuelle Frust, der aktuelle Konflikt entzündet sich meiner Vorstellung nach an etwas Anderem: Der politisch abgehängten Provinz. In einem diffusen Unmut darüber, dass die eigene Heimat verfällt.

Mein Heimatort Zorge musste Ende des letzten Jahres als Beispiel für sterbende Orte in einem Spiegel-Online Artikel herhalten und darin steckt leider viel Wahres. Das ausbluten der kleinen Ortschaften, der Wegzug der Jungen in die Städte scheint für manche Orte, wie eben auch Zorge, das baldige Ende zu versprechen. Es scheint einfach ein Naturgesetz zu sein, dass die Jungen Generationen lieber in die pulsierenden Metropolen ziehen wollen. Wer will denn auch in »Gammelsdörfern leben, wo nie etwas los ist«?

Doch ist das wirklich so eine »demokratische« Wahl? Eine Abstimmung mit den Füßen bzw. mit dem Umzugswagen? Schließlich kann jeder selbst entscheiden wo er Leben möchte und das Sterben der kleinen Orte scheint somit gewollt zu sein. Aber welche Wahl hat denn die junge Generation, wenn sie nach einem wirtschaftlich stabilen Leben sucht und der vielfach gepredigten Phrase »Aufstieg durch Bildung« folgt? Sie muss fortziehen, weil es auf dem Land nun einmal keine Universitäten gibt. Selbst wenn sie das nicht tut und eine berufliche Ausbildung präferiert, bleibt oft nur der Fortzug. Denn Deutschlands einstige Stärke, das mittelständische Unternehmen, einst verteilt über die Provinzen und Länder, zieht wahlweise den qualifizierten Arbeitskräften in die Metropolen hinterher oder stirbt einen langsamen Tod durch sinkende Wettbewerbsfähigkeit des Standorts auf dem Land.

Kommunen gefangen in einem Teufelskreis

Ein Teufelskreis der nicht mehr zu durchbrechen scheint auch weil viele Kommunen nahezu keine politische Handlungsfähigkeit mehr haben. Aufgrund politisch dämlicher Entscheidungen (so muss ich sie einfach mal nennen), wie der Schuldenbremse und das Festhalten an einer schwarzen Null im Bundeshaushalt, ist vielen Kommunen der letzte Spielraum geraubt. Ausbleibende Investitionen durch Bund und Länder und die fehlende Möglichkeit notwendige Investitionen kreditfinanziert zu tätigen, verdammen viele Gemeinden zur Passivität. Der Haushalt geht vielfach für die Pflichtleistungen der Gemeinden drauf, die sie per Gesetz erbringen müssen und darüber hinaus bleiben meist nur symbolische Summen, die man allenfalls zur Bepflanzung von Blumenkübeln am Straßenrand verwenden kann. Nicht aber um die verrottete Infrastruktur zu retten, gar auszubauen oder um neue Projekte anzustoßen, die die Gemeinde wieder wettbewerbsfähiger machen könnten.

Vielfach muss sogar das Gegenteil passieren: Die nahezu einzige Stellschraube, die den Gemeinden zur Aufbesserung ihres Haushalts bleibt, ist die Gewerbesteuer, die dann angehoben werden muss und die den – ohnehin schon durch den Standort benachteiligten – Unternehmen einen weiteren Grund an die Hand gibt, diesen Standort aufzugeben. In dem Fall wirkt auch gleich nicht nur der Verlust an Arbeitskräften und Kaufkraft negativ auf die Kommune, sondern die nachfolgenden Langzeitarbeitslosen an sich, die durch den Ort finanziert werden müssen. Gemeinden, die eh schon eine riesige Last haben, wird damit einfach ein dicker Batzen oben drauf geladen. Das treibt die Schulden hoch und den Handlungsspielraum nach unten.

Wenn man also lieber auf dem Land leben möchte, lieber in einer verwurzelten Gemeinschaft leben mag statt in anonymen Nachbarschaften der Großstadt, dann bleibt einem kaum eine Wahl. Man wird genötigt sich an den Metropolen zu orientieren und dort seinen Lebensunterhalt zu suchen. Und angesichts des katastrophalen öffentlichen Nahverkehrs auf dem Land, bleibt ein Festhalten am Wohnort auf dem Land mit starken Nachteilen verbunden. Das produziert Frust. Frust bei denen, die gehen mussten, sich nun vielleicht verloren fühlen und Frust bei denen, die geblieben sind, sich mit vielfachen Widerständen konfrontiert sehen und ihrer Heimat und gar ihrer eigenen beruflichen Laufbahn beim Verfall zusehen müssen.

Ein Frust der zurück auf die »Eliten« und unser politisches System projiziert wird: Ein System, wo die Kommunalpolitik nichts mehr leisten kann, die Ebene des Landes und des Bundes augenscheinlich nichts leisten will, wird zwangsläufig infrage gestellt. Parteien, die da irgendeine Verbesserung versprechen – sei das Versprechen noch so nebulös oder der eigentlichen Programmatik der Partei widersprechend – erhalten letztlich mitunter Zulauf. Eine Presse, die von Journalisten der großen Metropolen dominiert wird, die in aufstrebenden, lebendigen Szenevierteln leben und fortlaufend von steigenden Mieten und Wohnungsknappheit berichten, während im Heimatdorf der Leser die Hälfte der Häuser und Wohnungen leer stehen, kann nur Kritik auf sich ziehen. Sie muss auf diesen Teil der Bevölkerung realitätsfremd wirken.

Das Zentrum gegen den Rand

Natürlich ist das hier auch wieder nur eine Lesart von vielen. Doch ist es nicht eben möglich, dass der Graben weniger zwischen der Stadt und dem Land, weniger zwischen Traditionalisten und Progressiven verläuft, als zwischen dem Zentrum und der Peripherie? Zwischen denen, die viel Einfluss und Handlungsspielraum haben, also im Zentrum sitzen und jenen, die eben am Rand, der Peripherie kaum noch Gehör finden? Sowohl Politik als auch Presse scheinen sich aus Sicht der Landbewohner in immer größerer Distanz zur eigenen Lebenswirklichkeit abzuspielen. Die Eliten ignorieren scheinbar das Volk auf dem Land. Man bekommt ein Gefühl der Hilflosigkeit, wenn die Entscheidungen im fernen Berlin und Brüssel so unbeeinflussbar erscheinen und nichts am kläglichen Zustand zahlloser Gemeinden ändern. Man wird frustriert, wenn die eigentlich so vielfältige überregionale Presse, nur in Randnotizen auf diese Probleme verweist und ansonsten nur die Rückständigkeit und angeblich mangelnde Bildung der Landbewohner verweist, wenn sie es wagen ihren Frust – zugegeben, meist schwammig artikuliert – in die politische Arena zu tragen. Als Gegenbeispiel könnte hier ein Land wie Bayern fungieren. Dort sind die Gemeinden oft in weit besserer Position, dort gelingt es die Wünsche, der auf dem Land lebenden zu artikulieren und ins Landesparlament und auch in den Bund zu tragen. In Bayern haben die Rechtspopulisten bisher keine großen Erfolge für sich verbucht.

Eine Lösung gegen den Rechtspopulismus kann es daher sein, den abgehängten Gemeinden wieder mehr Handlungsraum zu ermöglichen und damit denen, die auf dem Land in verwurzelten Gemeinschaften leben wollen, wieder eine echte Wahl zu bieten. Denn wer in einer Demokratie langfristig keine Wahlmöglichkeiten mehr für sich sieht, der protestiert auch mal an der Wahlurne oder wendet sich gleich ganz vom System ab. Nicht nur das Schicksal der deutschen Demokratie könnte daran hängen, sondern auch das Europas. Vielleicht ist nicht mehr »Europa wagen« die Lösung, sondern sich wieder mehr Subsidiarität, mehr Kommunalpolitik und kommunale Autonomie zu trauen. Das Schicksal der westlichen liberalen Demokratien könnte sich tatsächlich in den kleinen verschrobenen Dörfchen entscheiden, die sich abgehängt und ungehört fühlen.

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